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„Neues Wachstumspotenzial für die deutsche Wirtschaft“

Illustration Wachstumspotenzial Wirtschaft

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Dort forscht er mit seinem Team zu Themen wie dem aktuellen Strukturwandel, Ordnungspolitik, vergangenen Wirtschaftskrisen und der Regulierung der Kapitalmärkte.

Prof. Dr. Michael Hüther

Wieso wirkt KI im Industriedienstleistungsverbund so stark?

Schon Industrie 4.0 ist in Deutschland entstanden, wo Wertschöpfungsketten von Industrie und Dienstleistern begleitet werden durch vernetzte Maschinen und den Datenaustausch in Echtzeit. KI schafft nun neues Wachstumspotenzial. Anders gesagt: Was vor 50 Jahren mit der Automatisierung begann, hat in den letzten zwei Jahrzehnten seine Ausprägung über die Digitalisierung bekommen, das heißt über Echtzeit‑Informationssteuerung in den Wertschöpfungsketten. Mit KI erreichen wir jetzt die dritte Stufe, aus der sich neue Perspektiven ableiten: Über Mustererkennungssysteme, beispielsweise Sprach- oder Bilderkennung, werden wir viele Prozesse weiter auto­matisieren können. Diese Nutzung von KI muss aber auch bei mindestens 50 Prozent der Unternehmen geschehen, damit der eindrucksvolle Betrag von 330 Milliarden Euro zusätzlicher Wertschöpfung auch wirklich ausgeschöpft werden kann. Diese Größenordnung ist nur wegen des Industriedienstleistungsverbundes denkbar.

KI hilft also sowohl der Industrie als auch dem Dienstleistungssektor?

Die industrielle Wertschöpfung ist bei uns deshalb noch so erfolgreich, weil man mit einer Maschine kein isoliertes Industrieprodukt kauft. Im Grunde erwirbt man ein lebenslanges Servicepaket um diese Maschine, die heute Daten in Echtzeit austauscht. In so einem Umfeld sind generative KI-Anwendungen hoch­attraktiv, weil sie Prozesse beschleunigen oder frühzeitiger auf notwendige Anpassungen hinweisen. Ein einfaches Beispiel für die vielfältige Wirkung von KI sind Aufzüge: Sie werden nicht nur automatisiert gebaut und automatisiert gesteuert. Wenn sehr viele Daten über die Nutzung von Aufzügen vorliegen, können auch die Wartungsprozesse dank KI automa­tisiert werden.

Illustration Produktivitätsgewinne durch KI

Auch Ihre Studie zeigt Produktivitätsgewinne auf: Demnach könnte der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer durch generative KI 100 Arbeitsstunden im Jahr einsparen. Ist das die Lösung für den Fachkräftemangel?

100 Stunden sind tatsächlich eine interessante Größe, auch wenn es erst mal „nur“ zwei Stunden pro Woche sind. Aber es könnte der deutschen Volkswirtschaft enorm helfen, wenn wir die eingesparten 100 Stunden über alle Erwerbstätigen hinweg konsequent zur Arbeit nutzen. Denn diese Menge würde in etwa den alterungsbedingten Verlust an Arbeitsvolumen bis 2030 in Höhe von 4,2 Milliarden Arbeitsstunden kompensieren – also die demografische Entwicklung, die hinter dem Fachkräftemangel steht. Die Herausforderung liegt allerdings darin, das auch zuzulassen.

Wie meinen Sie das?

Wir müssen den Mut haben, diese zeitliche Einsparung produktiv zu nutzen. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen, vor allem die regulatorischen. Lassen Sie es mich an einem Beispiel deutlich machen. Trotz der stetigen digitalen Transformation sind in allen Industrieländern die Fortschritte in der Arbeitsproduktivität rückläufig. Sie lagen vor drei Jahrzehnten bei 3 Prozent, dann bei 2 Prozent, dann bei 1,5 Prozent. Die Digitalisierung kommt also nicht voll in der Arbeitsproduktivität an. Dafür gibt es viele Erklärungen, beispielsweise hohe Kosten für Compliance und Dokumentation. Deshalb müssen wir aufpassen, dass die Potenziale der KI nicht durch überbordende Bürokratie oder Dokumentationspflichten gebremst werden.

Prof. Dr. Michael Hüther läuft auf einer Straße und blickt von unten in die Kamera

Was raten Sie Unternehmen, um die Potenziale der KI bestmöglich für sich zu nutzen?

Ich glaube, sie müssen mit der Sorge um ihre Daten entspannter umgehen. Letztlich gewinnen wir alle, wenn wir über gemeinsame Datenstandards unsere geschäftsbezogenen Informationen austauschfähig machen.

Braucht KI Zusammenarbeit und Austausch, damit sie Erfolg bringt?

Das kann ein entscheidender Faktor sein. Wir müssen im Grunde noch viel mehr in Netzwerken denken. Denn je mehr Daten unterschiedlicher Art eine KI als Grundlage bekommt, desto mehr Analysemöglichkeiten ergeben sich daraus. Im Idealfall bilden Daten eine Wertschöpfungskette insgesamt ab und brechen nicht an einer Stelle ab.

Welche Rolle kann der Staat in dieser Hinsicht spielen?

Der Staat ist nicht nur Regulator, sondern auch Dienstleister. Deshalb sollte er KI auch selbst in seinem Verwaltungshandeln nutzen. Es hilft wenig, wenn Unternehmen KI-Lösungen verwenden, die beim Staat nicht anschlussfähig sind. Zudem kann er große Datenbestände mobilisieren, etwa solche zum Arbeitsmarkt. Aus ihnen lassen sich KI-gestützt ganz neue Erkenntnisse gewinnen, die am Ende auch der Wirtschaft helfen.