Know-how für mehr Innovation

Wenn Jens Hertrampf kurz nach 4 Uhr morgens Zähne putzt, liest ihm sein Smartphone die Termine für den Tag vor. Gegen 5 Uhr fährt er zur Arbeit nach Leuna in Sachsen-Anhalt, einem der größten Chemiestandorte in Deutschland. Hertrampf ist Vorarbeiter beim Dienstleistungsunternehmen WISAG. Seine Aufgabe ist es, Sonderarmaturen, durch die explosionsfähige Stoffe strömen, zu prüfen und falls nötig auszubauen und zu reparieren. Wenn er nicht gerade in der Werkstatt oder in den Anlagen die massiven Sicherheitsventile wartet, sitzt er im Büro und verwaltet in Tabellenform seine Listen. Darin steht, welche Armaturen wo eingebaut sind und wofür sie verwendet werden. Aktuell ist hier fast alles Handarbeit, auch am PC – die einzige KI, die er bisher nutzt, ist der Sprachassistent im Smartphone, mit dem er seine Termine verwaltet.
Die Teilnehmenden des KI-Seminars in Schkopau arbeiten wie Jens Hertrampf in Industriebetrieben.

Bei Barbara Schnerch ist das ganz anders. Sie arbeitet nur einige Kilometer von Jens Hertrampf entfernt in Schkopau in der Personalabteilung von Synthos, einem großen Hersteller von synthetischem Kautschuk. Sie schreibt mithilfe von KI Vorträge, stellt Aufgaben für Azubis zusammen und verfasst Leitfäden. »Das ist eine immense Arbeitserleichterung, die mir sehr viel Zeit erspart.« Obwohl sie keine KI-Anfängerin mehr ist, will sie ihre Fähigkeiten ausbauen. Ihre Vorgesetzte unterstützt das: »KI-Kompetenzen sind für unser Unternehmen ein strategischer Erfolgsfaktor für die Zukunft«, sagt Stephanie Weiner, Personalleiterin bei Synthos. »Wir nutzen KI schon im Bereich Prozessoptimierung sowie in der Forschung und Entwicklung zur Datensimulation und Datenanalyse.«
Kurs in kürzester Zeit ausgebucht
Deshalb sitzt Barbara Schnerch jetzt zusammen mit Jens Hertrampf in einem KI-Kurs im Raum 166 des Lerncenters des AVO, des Ausbildungsverbundes Olefinpartner, in Schkopau. »Wir als Ausbildungsstätte merken, dass die Jüngeren häufig schon mit KI gearbeitet haben«, erklärt AVO-Projektleiter Mathias Faust, der den Kurs organisiert hat. Mit Fördermitteln aus dem KI-Chancenfonds von Google.org schult seine Einrichtung auch Azubis im Umgang mit KI. »Wir müssen darauf achten, dass die Älteren nicht den Anschluss verpassen. Deshalb freut es mich, dass der Kurs in kürzester Zeit ausgebucht war.« Die 21 Teilnehmenden, die heute das Seminar besuchen, arbeiten in Industriebetrieben der Region. Einige nutzen KI schon privat, nur die wenigsten, wie Barbara Schnerch, auch am Arbeitsplatz. Das wollen sie ändern. Drei Kurseinheiten besuchen die Teilnehmenden des AVO über einen Zeitraum von drei Wochen. Zwischen den Präsenzterminen absolvieren sie zusätzlich den Onlinekurs »Google AI Essentials«, der KI-Grundlagen vermittelt und in praktischen Übungen zeigt, wie man KI-Tools wie Gemini im Arbeitsalltag produktiv einsetzen kann.
Grundlagenwissen: Ein Trainer und zwei Teilnehmende beim KI-Seminar “Google AI Essentials” in Schkopau, Sachsen Anhalt

Chancen der Transformation nutzen
Das Interesse an KI ist groß, nicht nur hier in Schkopau. Nach einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom wollen 60 Prozent der Deutschen mehr über KI lernen – und das ist auch wichtig. »Wir werden in den kommenden Jahren mehr KI-Expertise in Wirtschaft und Verwaltung brauchen«, sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. »Unternehmen sind daher gut beraten, schon heute durch Weiterbildungsangebote auf den Bedarf an mehr KI-Kompetenz zu reagieren.« Dazu passend startete in Nordrhein-Westfalen kürzlich eine Initiative, die sich gezielt an den Mittelstand richtet. Im Zuge der Partnerschaft mit dem Land NRW stellt Google 5000 Lizenzen für Kurse zur Verfügung, die KI-Kompetenzen und praktische Fähigkeiten wie das Prompting, also Anweisungen an die KI, vermitteln. Auch Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), sieht dringenden Handlungsbedarf: »KI-Kompetenz ist keine Zukunftsfrage mehr – sie ist zur Überlebensfrage geworden. Als HDE setzenwir genau hier an: mit Studien, Weiterbildungsinitiativen und starken Partnern wie Google unterstützen wir Händlerinnen und Händler dabei, praxisnah und wirksam in die KI-Welt einzusteigen. Denn nur wer das nötige Know-how aufbaut, kann die Chancen der Transformation wirklich nutzen.« Im Seminar in Schkopau geht es erst einmal um grundsätzliche Fragen: Wieso basiert KI auf Mustererkennung? Wie kann man sich den Denkprozess einer KI anzeigen lassen? Und wofür lässt sich KI sinnvoll einsetzen? Ein Teilnehmer möchte sich Wartungspläne von der KI erstellen lassen, ein anderer würde sich gerne alte Betriebsanleitungen mithilfe von KI zusammenfassen und gegebenenfalls erklären lassen. Sie lernen, dass sie sich für jeden dieser Fälle ein sinnvolles Vorgehen und passende Prompts überlegen müssen.
Jede Menge Inspiration für Anwendungsfälle
»Mir hat die erste Schulung sehr gut gefallen, weil alles gut verständlich war und zu meinen Bedürfnissen passte«, sagt Jens Hertrampf. Auch er hat schon Anwendungsfälle im Kopf: Er ist zuversichtlich, dass KI ihm künftig »bei Schreibkram« helfen kann, etwa mit Formulierungsvorschlägen. »Und ich denke, dass ich durch KI Zeit bei der Vorbereitung aufwendiger Armaturen-Prüfungen sparen kann, wenn sie mich beispielsweise dabei unterstützt, wichtige Informationen aus Tabellen und Prüfprotokollen herauszusuchen.« Für Barbara Schnerch ist nach den ersten Stunden die Neugier auf die nächsten Kursteile noch gestiegen. »Ich will immer dazulernen, denn Lernen bedeutet, sich weiterzuentwickeln. Und das müssen wir, wenn wir innovativ bleiben wollen.«
Jens Hertrampf (links) will KI nutzen, um Zeit bei der Armaturen-Prüfung zu sparen. Barbara Schnerch (rechts) schreibt mit KI Vorträge.
