Zurück zum Hauptmenü
The Keyword Deutschland

Meinung

Erfolgreiches Marketing in Zeiten künstlicher Intelligenz

Auf einer bunten Flächen laufen Murmeln verschiedene Wege

Dieser Text wurde in Form eines Gastbeitrags für die W&V im Dezember 2023 veröffentlicht.

Um zu verstehen, was die Fortschritte im Bereich künstlicher Intelligenz für die digitale Werbung bedeuten, lohnt sich ein Blick zurück auf die Anfänge und Entwicklung der elektronischen Musik, bei der ein Gutteil der Pionierarbeit in Deutschland geleistet wurde.

Die 1970 gegründete deutsche Band Kraftwerk gilt heute gemeinhin als eine Wegbereiterin moderner elektronischer Musik. Ihr Einfluss auf die Entwicklung zahlloser, heute überaus populärer Musikstile war und ist noch immer immens. Dass und vor allem wie sehr Ralf Hütter und Florian Schneider mit ihrem Schaffen ihrer Zeit voraus waren, lässt sich heute auch daran erkennen, dass ihre Musik anfangs bei gestandenen, sich der Tradition verpflichtet fühlenden Musikpurist:innen eher auf Skepsis, Argwohn, bisweilen sogar rigorose Ablehnung traf.

Angesichts der drohenden Verdrängung „echter“ Instrumente durch Computer und Synthesizer witterten so manche schon den Untergang der traditionellen Musik. Es ist bezeichnend, dass ein Musikprofessor seinerzeit den Klang von Synthesizern mit dem von „bellenden Höllenhunden“ verglich. Aus heutiger Sicht wirken diese Reaktionen sicher befremdlich und übertrieben.

Parallelelen zur elektronischen Musik

Fest steht: Was anfänglich für Irritation sorgte, war schlussendlich echte Innovation. Die neuen Instrumente der elektronischen Musik, angefangen vom Synthesizer über Drumcomputer bis hin zu Sampling-Maschinen, sollten die Grenzen des musikalischen Schaffens und der künstlerischen Kreativität maßgeblich erweitern. So schufen auch Kraftwerk die Grundlage für völlig neue Genres wie Electro, Synthie-Pop, Disco, Techno, House oder gar Hip-Hop. Kurzum: Technologie hat die Musik nicht zerstört. Sie hat für mehr Möglichkeiten, mehr Vielfalt, mehr Kreativität und Facettenreichtum gesorgt.

Heute zeigt diese Geschichte frappierende Parallelen zu der Art und Weise, wie wir einer weiteren großen technologischen Entwicklung begegnen – der künstlichen Intelligenz. Heute bieten KI-gestützte Technologien und Werkzeuge Unternehmen das Potenzial, in vielfältiger Hinsicht genau das zu tun, was Kraftwerk mit neuen elektronischen Instrumenten im Bereich der Musik getan hat. Mit anderen Worten: Allein das Wertschöpfungspotenzial künstlicher Intelligenz für Unternehmen und die gesamte Wirtschaft ist enorm.

KI zeigt neue Wege auf

330 Milliarden Euro – so viel könnte generative künstliche Intelligenz zur Bruttowertschöpfung der deutschen Wirtschaft beitragen. So lautet das Ergebnis einer aktuellen Studie, die IW Consult im Auftrag von Google durchgeführt hat. Dazu wäre ein Einsatz der Technologie in mindestens 50 Prozent der Unternehmen erforderlich. Aktuell setzen 600.000 und somit 17 Prozent der Unternehmen in Deutschland KI bereits effektiv ein.

Dabei profitiert die deutsche Wirtschaft schon heute in erheblichem Maße vom Einsatz künstlicher Intelligenz. So gibt rund die Hälfte der befragten Unternehmen an, dass KI die Wirtschaft bereits heute produktiver macht. Noch mehr Unternehmen (58 Prozent) sind der Meinung, dass die Produktivität durch KI in Zukunft weiter steigen wird. Was für die deutsche Wirtschaft gilt, ist auch und ganz besonders für Werbetreibende relevant.

Was bedeutet das ganz konkret? Künstliche Intelligenz bietet der Werbebranche ganz neue Möglichkeiten und Wege, um diejenigen zu erreichen, um die es bei Werbung seit jeher geht: Kund:innen, Verbraucher:innen, kurz Zielgruppen. Die effektive Nutzung von KI kann und wird dazu beitragen, Werbung neu denken und umsetzen zu können: mit mehr Kreativität, stärkerer Wirkung, ausgefeilter Messbarkeit – unterm Strich mit mehr Umsatz und Ertrag. Gleichzeitig gilt es auch, die Privatsphäre der Nutzer:innen zu respektieren und zu schützen. Mehr noch: Verbraucher:innen wollen ernst genommen werden – mit ihren Bedürfnissen, ihren Erwartungen und persönlichen Präferenzen.

Von einem Wendepunkt zu sprechen bedeutet im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und Werbung, dass wir uns erst am Anfang eines spannenden und vielversprechenden Weges befinden. Es gibt viel zu tun, und dabei kommt es es aus meiner Sicht auf drei Dinge an: Vertrauen, Geschwindigkeit und Kreativität.

Vertrauen

Wie können wir also das Vertrauen in Kampagnen erhöhen? Es beginnt mit der richtigen Analyse. Analysen geben uns Vertrauen und schaffen Verlässlichkeit. Denn sie bilden ab, was funktioniert und sorgen so für die Gewissheit, Wirkung zu erzielen und das Richtige zu tun.

Seit den Anfängen des Internets hat sich viel verändert. Fünf Milliarden Menschen auf der ganzen Welt haben online Zugang zu Informationen, Inhalten und einer breiten Palette von Diensten. Auch und vor allem digitale Werbung hat das offene Internet möglich gemacht. Aber das Internet wurde nicht mit Blick auf den Datenschutz entwickelt – und das muss sich ändern. Wie bereits erwähnt, gehören Drittanbieter-Cookies bald der Vergangenheit an. Sie waren beim Aufbau des Internets wichtig, heute aber können und müssen sie ersetzt werden, um den Datenschutz zu gewährleisten, den Nutzer:innen und Regulierungsbehörden erwarten.

Das gilt gleichzeitig für die Leistung, die Marketer ebenso wie alle anderen Menschen, die auf das werbebasierte Internet angewiesen sind, für ihre Arbeit und ihren Erfolg benötigen. Initiativen wie die Privacy Sandbox nutzen daher neue Ansätze zur Wahrung der Privatsphäre, die Werbetreibenden dabei helfen, auch weiterhin Zielgruppen effektiv zu erreichen, die Leistung ihrer Kampagnen zu steigern und die Ergebnisse zu messen. Die beste Antwort auf den Wegfall der Drittanbieter-Cookies ist der Aufbau einer soliden Grundlage von eigenen Cookies, den First-Party-Cookies.

Laut der Studie „Responsible Marketing with First Party Data“ der Boston Consulting Group geben neun von zehn Werbetreibenden an, dass First-Party-Daten für ihre digitalen Marketingprogramme wichtig sind. Doch diese Daten sind oft fragmentiert, unstrukturiert und über viele verschiedene Systeme innerhalb eines Unternehmens verstreut. Kein Wunder also, dass nur ein Drittel der Marketer angibt, First-Party-Daten effektiv zu nutzen. Eine solide Grundlage für die Nutzung von Erstanbieter-Daten ist somit entscheidend, um in der neuen Ära des digitalen Marketings mit Vertrauen agieren zu können.

Geschwindigkeit

Der nächste wichtige Baustein ist Geschwindigkeit. Die Wege und das Kaufverhalten der Verbraucher:innen sind komplexer denn je. Die Mehrheit von ihnen nutzt mehr als fünf Online-Dienste, bevor sie tatsächlich etwas kaufen. Im Zuge des Wachstums hat sich das Internet von einem Werkzeug zum Preisvergleich zu einem Werkzeug zum Vergleichen von allem gewandelt. Es ist für uns schlichtweg kaum möglich, mit der Geschwindigkeit und Komplexität dieser Entwicklung Schritt zu halten.

Doch genau an diesem Punkt kann und wird KI uns helfen können. Das Verhalten der Verbraucher:innen mag komplex sein – aber sie über digitale Plattformen zu erreichen, ist es nicht. Mit neuen KI-gestützten Tools können Marketer bereits heute ihre Kampagnen effizienter und performanter aufsetzen und aussteuern. KI entlastet Marketer bei zeitaufwendigen manuellen Prozessen und verschafft ihnen Luft, um sich verstärkt um strategisch relevante Aufgaben zu kümmern.

Und auch das ist modernes Marketing: Die gemeinsame Nutzung von KI und First-Party-Daten, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Werbetreibende sollten dabei nicht vergessen: Sie stehen nicht mit KI im Wettbewerb, sondern mit anderen Unternehmen und anderen Werbetreibenden, die KI einsetzen. Anders gesagt: Am Ende des Tages sind Marketer Menschen, die mithilfe ihrer Werkzeuge andere Menschen erreichen wollen. Marketing ist ein People-Business und KI kann als neues Werkzeug dazu beitragen, dass dieses People-Business effektiver und passgenauer stattfindet.

Kreativität

Ich habe über Vertrauen und über Geschwindigkeit gesprochen. Der letzte Baustein für erfolgreiches Marketing ist Kreativität. Marketer begegnen täglich der Herausforderung, ihre Zielgruppen zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Botschaft zu erreichen. Doch vor allem der digitale Werberaum ist sehr viel komplexer geworden. Nutzer:innen konsumieren immer mehr Inhalte und sind ständig mit dem Internet verbunden, über alle Geräte und Formate hinweg. Es ist anspruchsvoll für das Marketing, sich auf diese Vielfalt einzulassen. Die Folge ist, dass immer wieder dieselben Anzeigen gezeigt werden – mit wenig Anpassung oder Personalisierung.

Stellen wir uns eine Welt vor, in der sich Marketer auf ihre Kreativität konzentrieren können und die KI die Aufgabe übernimmt, ihre Ergebnisse für jede Plattform, jedes Gerät und sogar für jede Kundin und jeden Kunden individuell anzupassen – und zwar auf eine datenschutzfreundliche Weise. Wie wäre es mit einer Anzeige, die sich weiterentwickelt, so dass sich bei mehrmaligem Betrachten die Botschaft an die Werbe-Bedürfnisse anpasst? Und sobald ein Kauf getätigt wurde oder die Anzeige nicht mehr relevant ist, wird sie auch nicht mehr angezeigt. Das beschreibt in unseren Augen die Zukunft der Online-Werbung.

Kreativität, der „letzte unfaire Vorteil“

Intelligente Tools ermöglichen es beispielsweise, horizontale Assets in vertikale oder quadratische Videos umzuwandeln – je nachdem, was benötigt wird. Dies klingt vielleicht nach kleinen Änderungen, aber sie sparen eine Menge Zeit. Der berühmte Werbefachmann Bill Bernbach sagte einmal: „Kreativität ist der letzte unfaire Vorteil, den wir uns gegenüber unseren Konkurrenten erlauben können.“ Wenn Technologie also die komplexen Aufgaben übernimmt, können sich Werbetreibende auf ihre Stärken konzentrieren. Also auf Stärken wie das Erzählen einfühlsamer Geschichten, auf brillantes strategisches Denken und die Entwicklung enger Beziehungen zu ihren Kund:innen.

Ich bin mir sicher: Werbetreibende werden auf die aktuellen Entwicklungen als einen Wendepunkt für die Branche zurückblicken. Und vielleicht gibt uns Kraftwerk für diese Entwicklungen eine wichtige Lektion mit auf den Weg. Denn das, was letztendlich für den Erfolg von Kraftwerk und ihren bahnbrechenden Einfluss auf die Entwicklung der Musik ausschlaggebend war, war nicht in erster Linie die bloße Verwendung neuer elektronischer Instrumente, sondern deren kreativer Einsatz und Komposition. Die Menschen hinter Kraftwerk waren und sind die wahren Macher der Musik. Und so sind und bleiben es auch Menschen, die Werbung machen – mit neuen Instrumenten, aber immer mit Herz, Seele und Verstand.