Zum Stand der Umsetzung der Europäischen Urheberrechtsreform in Deutschland - Anmerkungen aus Sicht von YouTube
Das Gesetz zur Umsetzung der Europäischen Urheberrechtsreform (EUCD) in deutsches Recht befindet sich auf der Zielgeraden. YouTube teilt das Interesse von Rechteinhabern, Urheberrechtsverletzungen auf unserer Plattform zu unterbinden und arbeitet seit vielen Jahren mit Plattenfirmen, Labels, Musik-Verwertungsgesellschaften und Rechteinhabern im Film- und Fernsehbereich zusammen. Wir haben alleine 90 Millionen Euro in die Entwicklung eines Systems zum Lizenzmanagement auf YouTube (ContentID) investiert. Über 9.000 Rechteinhaber weltweit nutzen ContentID, um ihre Inhalte und Rechte auf YouTube zu kontrollieren und zu verwalten. Mit ContentID haben wir eine neue, zusätzliche Einnahmequelle für Rechteinhaber geschaffen. Es ist bezeichnend, dass in den allermeisten Fällen Rechteinhaber das System nicht dazu nutzen, ihre von Dritten auf YouTube hochgeladenen Inhalte zu sperren. Ganz im Gegenteil entscheiden sie sich sogar in über 95 Prozent (!) der Fälle dafür, die Inhalte auf YouTube zu erlauben und diese zu monetarisieren. Rund 50 Prozent ihrer Umsätze auf YouTube erzielen Rechteinhaber über diese Form der Monetarisierung. Allein an die Musikindustrie hat YouTube so bis heute rund zwölf Milliarden US-Dollar ausgezahlt. Nimmt man die Inhalte anderer Branchen hinzu, summieren sich die Ausschüttungen in den vergangenen drei Jahren auf über 30 Milliarden US-Dollar.
Wir berücksichtigen aber natürlich die Interessen unserer Nutzerinnen und Nutzer sowie derjenigen, die Inhalte auf YouTube hochladen. So verhindern wir unberechtigte Sperrungen zulässiger Inhalte über ein ausgewogenes Beschwerdesystem und reduzieren Streitigkeiten zwischen Uploadern und Rechteinhabern damit auf ein Minimum.
Dieses ausbalancierte Miteinander könnte nun durch die geplante Reform aus dem Gleichgewicht geraten. Trotz aller Bemühungen der Bundesregierung und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), die Interessen der verschiedenen Interessengruppen in Einklang zu bringen, führt der aktuelle Textentwurf von Artikel 17 eine Reihe von Komplexitäten und rechtlichen Unsicherheiten zum Nachteil Aller ein: der Urheberinnen und Urheber, Plattformen, Nutzerinnen und Nutzer sowie Rechteinhaber. Wir sehen diese Herausforderungen insbesondere in drei Bereichen:
Geltungsbereich: Im jüngsten Entwurf des Gesetzes wurde eine sehr problematische, umfassende Verpflichtung der Dienstleister zum Erwerb von Lizenzen eingeführt, die weit über YouTube-typische Inhalte und auch weit über die ursprünglich in Artikel 17 EUCD geforderten „best efforts“ hinausgeht. Eine Gruppe von YouTube-Machern hat dies in ihrer Stellungnahme zum Gesetz wie folgt formuliert:
„Ohne die Einschränkung auf Inhalte, die Dienstanbieter ‘typischerweise öffentlich’ wiedergeben, würde man von Dienstanbietern das Unmögliche verlangen, wodurch es zu massiven Einschränkungen der Inhalte auf den Plattformen kommen würde. Durch die Unsicherheit entstünde massives Overblocking mithilfe der von uns stark abgelehnten Upload-Filter.”
Der Geltungsbereich und die Lizenzierungspflicht sollten daher klar eingegrenzt werden, genauso wie es im ursprünglichen Referentenentwurf und auch in Artikel 17 EUCD formuliert war. Zumindest sollte klargestellt werden, dass eine Lizenzpflicht nur für Inhalte gilt, die – auch relativ zu der Menge der ansonsten hochgeladenen Werke - eine große Menge darstellen.
Direkte Vergütung: Wir verstehen das Anliegen des Gesetzesentwurfs, Autor:innen und Urheber:innen von Inhalten direkt zu bezahlen, also zusätzlich zu Unternehmen wie Labels, die deren Rechte verwalten. Wir befürchten jedoch, dass der vorgeschlagene Prozess eine schnelle und angemessene Ausschüttung an die Urheber:innen eher erschweren würde. Darüber hinaus sollen nach dem Entwurf auch Inhalte vergütungspflichtig sein, die von Schrankenbestimmungen erfasst sind – selbst Zitate und Parodien. Das ist unvereinbar mit Europa- und Verfassungsrecht und greift auf nicht akzeptable Weise in Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit ein. Dies wurde erst kürzlich von führenden Urheberrechtsexpert:innen kritisiert („Zitate und Parodien müssen vergütungsfrei bleiben!”).
Haftungsrichtlinien: Der Entwurf verpflichtet Diensteanbieter, Inhalte, die „mutmaßlich erlaubt sind” bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens zugänglich zu machen – und dafür zu zahlen. Das kann sogar gelten, wenn die Inhalte offensichtlich rechtswidrig sind. Wir befürchten, dass das Verbot einer Sperrung von Inhalten nach einem Nutzerflagging zu einer unübersehbaren Fülle solcher Kennzeichnungen führen wird. Das öffnet nicht nur das Tor für Piraterie, sondern würde zudem die Zahl von Streitigkeiten stark ansteigen lassen. Für all diese Streitigkeiten wird Diensteanbietern im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - gewissermaßen als Richter - die schwierige Aufgabe zugewiesen, zu entscheiden, ob die jeweiligen Inhalte nach einer Schrankenbestimmung zulässig sind. Dies ist eine kaum zu leistende Aufgabe, erst recht innerhalb der viel zu kurz bemessenen Frist von sieben Tagen; denn die zu lösenden Fragen haben erhebliche Grundrechtsrelevanz. Zudem weiß heute niemand, was die Grenzen für die sogenannte „Pastiche-Schranke” sind. (Kunsttheoretisch ist ein Pastiche die Imitierung des Stils eines Künstlers, urheberrechtlich ist der Begriff jedoch nicht eindeutig definiert.) Es muss deshalb klargestellt werden, dass den Diensteanbietern für sorgfältig getroffene Entscheidungen kein urheberrechtliches Haftungsrisiko erwächst, sondern eine Haftung allenfalls dann besteht, wenn der Diensteanbieter seine Pflicht zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens nicht erfüllt. Ohne eine solche Klarstellung gibt es einen strukturellen Anreiz für Plattformen, im Zweifel gegen die Nutzer:innen zu entscheiden, um sich nicht dem Haftungsrisiko auf Schadensersatz gegenüber Rechteinhabern auszusetzen.
Wir verstehen die Herausforderungen, die mit diesem Gesetz verbunden sind. Ein mit der Materie befasster Politiker sprach nicht zu Unrecht von einer „Quadratur des Kreises“. Wir sehen aber auch Möglichkeiten, das Gesetz zum Nutzen aller weiter zu verbessern. Frühere Gesetzesentwürfe bieten hierfür interessante Anhaltspunkte.