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The Keyword Deutschland

„Ich werde oft gefragt, ob ich mich als Deutscher oder Chinese sehe“

Marco Xu steht vor dem Hallstätter See in Österreich. Im Hintergrund sind Berge zu sehen.

Grüß dich, Marco. Wie bist du heute in den Tag gestartet?

Servus, ihr beiden. Wie die meisten Googler:innen in Deutschland arbeite ich aktuell größtenteils von zu Hause aus und habe mir wie jeden Morgen zunächst eine heiße Tasse Tee gemacht.

Du hast im November als Analytical Consultant bei Google Deutschland angefangen. Wie waren deine ersten drei Monate bisher?

Ich bin wirklich froh, Teil des Teams zu sein. Der Bewerbungsprozess für meine Stelle war recht anspruchsvoll, da ich mehrere Interviews mit Kolleg:innen aus unterschiedlichen Abteilungen geführt habe. Dabei wurden mir nicht nur inhaltliche Fragen zum eigentlichen Job gestellt, sondern auch darauf geachtet, dass sowohl ich zum Team passe als auch das Team zu mir passt. Vor Google habe ich in großen Industrieunternehmen gearbeitet, ebenfalls im Analytics-Bereich. Aber die ersten drei Monate bei Google waren unvergleichbar: Ich habe mich vom ersten Tag an extrem gut aufgehoben gefühlt – der Onboarding-Prozess war sehr strukturiert. Als Noogler – also frischer Google-Mitarbeiter –, der im Sales-Bereich arbeitet, habe ich die ersten Wochen in der sogenannten Google Sales School verbracht. Dieser „Klassenunterricht“ war besonders in der aktuellen Working-from-home-Zeit super hilfreich, weil ich so direkt viele Kolleg:innen zumindest virtuell kennenlernen konnte. Direkt im Anschluss ging der praktische Teil los und seitdem arbeite ich an ersten Kundenprojekten.

Du arbeitest, wie die Mehrheit von uns, aktuell überwiegend im Home Office. Worauf freust du dich, wenn du häufiger ins Münchener Büro kommst?

Ich freue mich natürlich darauf, die zahlreichen anderen Googler:innen im Büro kennenzulernen. München ist ein großer Standort mit Kolleg:innen aus aller Welt, die in vielen Bereichen arbeiten (z. B. Engineering, YouTube, Android Auto, Sales u. v. m.). Hier hat man die Möglichkeit, viele Leute mit unterschiedlichen Hintergründen und aus verschiedenen Kulturen kennenzulernen. Ich finde das Bürogebäude selbst auch sehr interessant – mit den kreativ gestalteten Meeting-Räumen und der wirklich tollen Kantine für Mitarbeiter:innen – mein Favorit war bisher das halbe Hendl mit Bratkartoffeln und „Purple Haze“-Karotten.

Wie beschreibst du deine Arbeit als Analytical Consultant deiner Familie, deinen Freunden?

Als Teil des Google-Vertriebsteams arbeite ich mit Großkund:innen aus der Handelsbranche zusammen. Wir helfen ihnen, das Beste aus der Arbeit mit Google-Produkten zu machen. Das bedeutet, wir unterstützen sie auf operativer und strategischer Ebene, damit sie ihre Business-Ziele erreichen.

Als Analytical Consultant fokussiere ich mich auf den analytischen und datengetriebenen Teil. Konkret bedeutet das: Ich analysiere Daten aus verschiedenen Quellen, um Erkenntnisse für unsere Kund:innen zu generieren. Sie können diese Erkenntnisse nutzen, um zeitnah und gezielt auf sich schnell ändernde Marktgegebenheiten zu reagieren. Darüber hinaus entwickeln wir auch gemeinsam mit ihnen automatisierte und skalierbare Lösungen.

Woher kommt deine Begeisterung für Daten bzw. Datenanalyse?

Mich hat schon immer innovative Technologie und deren Einfluss auf unseren Alltag fasziniert. Schon damals in der Schule habe ich mich extrem für Computer, Handys (mein erstes war übrigens ein BenQ-Siemens A55), MP3-Player und jegliche Art von Unterhaltungselektronik interessiert. Nach meiner Schulzeit habe ich ein Management & Technology-Studium in an der Technischen Universität München angefangen. Dort habe ich mich recht früh auf das Thema Ökonometrie, Big Data und Machine Learning fokussiert. Ich finde es unglaublich spannend, wirtschaftliche Fragestellungen mit Hilfe von Technologie und Daten zu lösen.

Was hast du dir für das Jahr 2022 vorgenommen? Was steht ganz oben auf deiner Agenda?

Meine Frau und ich hatten ursprünglich für 2020 eine längere Südamerika-Reise geplant. Bekanntlich hat uns die Pandemie leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hoffe daher, dass es diesen Sommer klappt, aber zu optimistisch bin ich aktuell ehrlich gesagt nicht…

Du bist Sohn chinesischer Eltern. Wie feiert ihr 春節 (Chūnjié), das chinesische Neujahrsfest, das dieses Jahr am 1. Februar stattfindet?

Ich bin zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen: Meine Eltern und ich hatten oft die Herausforderung, die doppelte Anzahl an Festen im Jahr zu feiern. Das hat dazu geführt, dass wir zu Hause weder das eine noch das andere Fest so richtig gefeiert haben. Außerdem hat meine Familie kaum Verwandtschaft in Deutschland, sodass klassische Familienfeste wie Weihnachten oder auch Chūnjié im kleinen Kreis zelebriert werden. Mittlerweile versuchen meine Frau, die ebenfalls chinesische Wurzeln hat, und ich aber, die chinesischen Feste wie das Mondfest (auch „Mittherbstfest“ genannt – hier werden traditionell Mondkuchen verschenkt und gegessen) oder Chūnjié mehr mit anderen chinesischen Freund:innen und Familien in München zu feiern.

  • Ein Foto von Marco Xu als Kind auf den Armen seiner Großmutter und Mutter

    Kindheitserinnerung – Marco Anfang der 90er mit seiner Mutter und Oma in Kunming, China.

  • Marco Xu steht als 6-jähriger Junge vor der Wallfahrtskirche St. Bartholomä in Bayern.

    Fesch unterwegs. Marco als 6-Jähriger bei einem Ausflug zum Königssee. Im Hintergrund die Wallfahrtskirche St. Bartholomä.

  • Marco Xu umringt von seinen Kommiliton:innen in einem Lehrraum der Universität von Beijing.

    Eine echte Erfahrung – Marco mit Kommiliton:innen in Beijing während seines Auslandssemesters, 2014.

  • Marco Xu macht vor dem Hintergrund der Brooklyn Bridge auf den Straßen Brooklyns einen Dab.

    Reiselustig – Marco dabbt auf den Straßen Brooklyns.

  • Marco Xu und seine Frau stehen vor dem Burj Khalifa in Dubai während eines Urlaubsaufenthaltes.

    Marco und seine Frau Yu im Dubai-Urlaub vor dem Burj Khalifa, 2017.

  • Marco Xu und seine Frau Yu sitzen während des Oktoberfests 2016 in München in bayerischer Tracht auf einer Bank in einem Bierzelt.

    Bayerischer Buasch – Marco und Yu beim Oktoberfest in München, 2016.

Du bist im beschaulichen Bad Füssing in Niederbayern groß geworden. Wie bist du dort aufgewachsen?

Bad Füssing ist ein kleiner Kurort an der österreichischen Grenze mit ein paar Tausend Einwohner:innen. An meiner Schule mit etwa 800 Schüler:innen gab es damals neben mir kaum andere asiatische Kinder. Ich habe mich in Bad Füssing immer sehr wohl gefühlt, da ich eine unglaublich schöne Kindheit mit tollen Freund:innen hatte. Ausgegrenzt habe ich mich nie gefühlt. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass ich als 10-Jähriger noch nicht so selbstreflektiert war wie heute. Mir war natürlich bewusst, dass ich etwas anders aussehe als die meisten meiner Freund:innen, aber davon abgesehen, habe ich mich immer als echter Bayer gefühlt.

Das Gefühl, anders zu sein, kam erst in der Oberstufe auf, als ich 16 Jahre alt war. Ich habe angefangen, mir Gedanken über meine Zukunft zu machen. Ich wusste schon recht früh, dass ich nach dem Abitur raus aus Bad Füssing und in eine Großstadt ziehen wollte. Damals habe ich auch angefangen, meinen geografischen Horizont zu erweitern und bin sowohl alleine als auch mit Freund:innen inner- und außerhalb von Deutschland gereist.

Ein guter Freund von mir hat mir mal gesagt: „Man merkt oft nicht, dass man anders ist, bis jemand Drittes einen darauf anspricht und Merkmale definiert, die ‚anders‘ zu sein scheinen.“ Ich finde, das trifft auch extrem gut auf meine Situation zu. Interessanterweise waren es bei mir immer Aufenthalte außerhalb Bayerns, bei denen ich gemerkt habe, das ich nicht der „klassische“ Bayer bin.

Wie war dein Umgang mit Menschen, die dir das Gefühl gegeben haben, kein „echter“ Bayer zu sein?

Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich noch nie aufgrund meines Aussehens oder meines kulturellen Hintergrunds Probleme im Alltag hatte. Allerdings will ich ganz klar betonen, dass es absolute Ausnahmefälle waren. Dennoch: Als asiatischer Mann in einem kleinen Kurort in Niederbayern fällt man öfter auf als man meint.

Ein Beispiel ist das jährlich stattfindende Volksfest (nicht die Wiesn!) in der Nähe von Bad Füssing. Dort in Lederhose eine Maß zu trinken hat oft Aufmerksamkeit erregt – ich wurde von vielen Menschen angestarrt oder es wurde geschmunzelt, wenn sie mich Bayerisch sprechen hörten. Im Vergleich dazu die Wiesn in München: Hier ist es völlig normal, dass man Tourist:innen aus aller Welt in bayerischer Tracht sieht. Ein Asiate in Lederhose fällt hier nicht auf.

Du hast ein Auslandssemester in Beijing verbracht. Welche Eindrücke konntest du gewinnen? Wie hat dir diese Zeit bei deiner Identitätsfindung weitergeholfen?

Als Kind bin ich regelmäßig mit meinen Eltern nach China gereist, vor allem um meine Großeltern zu besuchen. Zeit, um andere Ecken des Landes kennenzulernen, hatten wir nicht. Da kam der Auslandsaufenthalt wie gelegen. Ich habe die acht Monate genutzt, um durch das Land zu reisen. Interessanterweise habe ich in dieser Zeit nicht nur realisiert, wie es ist, Chinese zu sein, sondern auch, wie es ist, Deutsch zu sein. Die Reise war eine unvergessliche Erfahrung, in der ich mich persönlich enorm weiterentwickelt habe.

China ist ein extrem großes Land mit unterschiedlichen Kulturen. Mir ist oft aufgefallen, dass viele Leute, die noch nie in China waren, das Land hauptsächlich mit den Mega-Metropolen Beijing und Shanghai sowie kulinarisch mit gebratenen Nudeln oder Ente süß-sauer verbinden. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall: China hat sowohl geografisch als auch kulinarisch so viel mehr zu bieten. Es gibt wahnsinnig schöne Orte im Westen und Süden Chinas – wie zum Beispiel die Wulingyuan-Berge, die als Inspiration für den Film Avatar dienten, oder das als Frühlingsstadt bekannte Kunming (übrigens auch die Heimatstadt meiner Eltern). Auch die Küche variiert sehr stark zwischen den einzelnen Regionen.

Außerdem waren meine Chinesischkenntnisse – vor allem was die Schriftzeichen anbelangt – vor meinem Auslandssemester alles andere als Muttersprachler-Niveau. Ich habe daher in dieser Zeit fortgeschrittene Mandarin-Kurse an chinesischen Hochschulen besucht. Diese Erkenntnisse haben mir persönlich sehr bei meiner Identitätsfindung geholfen. Ich werde oft gefragt, ob ich mich eher als Deutscher oder Chinese sehe. Ich muss daraufhin immer lachen, weil ich mir selbst die Frage nie gestellt habe. Aber mittlerweile habe ich für mich die beste Antwort gefunden: Kommt drauf an ;-).

Welche Traditionen pflegst du aus beiden Kulturen besonders – und wo verbindest du beide miteinander?

In der chinesischen Kultur dreht sich vieles ums Essen – ganz klar. Es ist nicht unüblich, dass man für Familienfeiern stundenlang in der Küche steht und am Vortag beginnt, zehn unterschiedliche Gerichte zu kochen. Natürlich tischen wir zu Hause in München nicht jeden Tag ein Festmahl auf, aber meine Frau und ich versuchen dennoch, mindestens drei- bis viermal die Woche Abends zu kochen. Dieses gemeinsame Abendessen ist mir extrem wichtig, weil ich dadurch gemeinsame Zeit mit meiner Familie verbringen kann.

An der deutschen Kultur schätze ich besonders die offene und ehrliche Art – nicht nur im Alltag, sondern auch auf der Arbeit. Die Deutschen sind – und so habe ich es auch kennengelernt – bekannt für ihre direkte Kommunikation. Ich sehe das als großen Vorteil; ich habe früh gelernt, mit Feedback umzugehen. Meiner Meinung nach stärkt direktes, ehrliches Feedback die Beziehung zu Freund:innen, zur Familie und zu Kolleg:innen.

Um das Ganze dann noch auf die Arbeit zu beziehen, fallen mir noch gute Beispiele aus der chinesischen Kultur ein: Hier spielen sowohl in der Arbeit als auch im Alltag das Netzwerk und gute Beziehungen (Guānxi) eine extrem wichtige Rolle. Als Teil des Google-Vertriebsteams ist für mein Team und mich auch die Nähe zu unseren Kund:innen absolut essentiell. Wir pflegen sehr gute Kundenbeziehungen und versuchen stets, die Herausforderungen aus ihrer Sicht gemeinsam zu lösen. Besonders hier – glaube ich – kann man sehr gut beide Kulturen miteinander verbinden.

Bei Google in München kommen sehr viele verschiedene Kulturen zusammen – wie wird hier mit dem Thema „Identität“ umgegangen?

Als ich vergangenen Herbst bei Google angefangen habe, ist mir als Erstes die Diversität der Kolleginnen und Kollegen aufgefallen. Und damit meine ich nicht das Äußerliche, sondern vielmehr deren Mindset und unterschiedliche Lebenswege. Während meiner ersten Monate habe ich Googler:innen aus vielen verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Hintergründen getroffen – das finde ich beeindruckend.

Bei Google werden unterschiedliche Denkweisen nicht nur akzeptiert, sondern stark gefördert. Das sieht man besonders an den vielen internen Communities und Initiativen, die von Googler:innen ins Leben gerufen wurden. Ich bin zum Beispiel Teil des sogenannten Asian Googler Network (AGN), das regelmäßig Events für asiatisch-stämmige Googler:innen organisiert.

Ich habe nicht das Gefühl, dass man bei Google in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Ich kann mich an mein erstes (virtuelles) Kundenmeeting erinnern, wo ich vor dem Meeting meine Kollegin gefragt habe, ob ich mich an einen bestimmten Dresscode halten sollte. Ihre Antwort war kurz und knapp: „Be yourself!“ Ich glaube, dass dieser Satz ganz gut zeigt, wie Google mit dem Thema „Identität“ umgeht. Man muss sich hier nicht verstellen, sondern kann so sein, wie man ist.

Wenn du deinem jüngeren Ich einen Rat mitgeben könntest. Welcher wäre das?

Ich habe mich während meiner Schulzeit und meines Studiums sehr viel – fast ausschließlich – mit der asiatischen, speziell chinesischen Kultur beschäftigt. Die chinesische Kultur war für mich schon immer extrem vielfältig und faszinierend. Mittlerweile muss ich aber zugeben, dass ich in dieser Hinsicht nie wirklich über den berüchtigten Tellerrand geschaut habe. Ich habe praktisch erst mit 25 angefangen, auch andere Länder und Kulturen zu entdecken und mich dafür zu interessieren. Besonders die lateinamerikanische und afrikanische Kultur stehen noch auf meiner To-do-Liste. Mein Rat an mein jüngeres Ich wäre deshalb: Auch wenn du zwischen zwei Kulturen aufwächst, gibt es noch unzählig andere, die du kennenlernen solltest.

Neben dem Entdecken neuer Kulturen – was ist deine größte Passion, dein liebstes Hobby?

Viele meiner Freund:innen gehen gerne joggen oder Rad fahren. Ich gehe wahnsinnig gerne schwimmen. Egal ob im Freibad, See oder Meer. Ich liebe es, am und im Wasser zu sein. Ein Standortvorteil von München sind die zahlreichen wunderschönen Seen in der Nähe. Bei uns sind im Sommer Tagestrips zu einem nahegelegenen See daher ein Muss. Es ist für mich ebenfalls ein guter Ausgleich zum hektischen Stadtleben in München. Mein großer Traum ist es, eines Tages in einem Haus mit Meer- oder Seeblick zu wohnen, sodass ich jeden Morgen ins Wasser springen und eine Runde schwimmen kann, bevor der Tag anfängt.

Zu guter Letzt: Dim-Sum- oder Weißwurstfrühstück?

Beides. Unter der Woche Weißwurstfrühstück und am Wochenende Dim-Sum, vor allem Jiǎozi (Teigtaschen) mit Hackfleischfüllung.

Danke dir für das offene Gespräch, Marco – und 过年好 (Guò nián hǎo – „Frohes Neues!“)!

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