„Ich bin quasi eine Minderheit in der Minderheit“
Robert, möchtest du dich kurz vorstellen? Was ist dein Job und wie lange bist du schon bei Google?
Seit sieben Jahren bin ich schon Mitglied im „Global Communications & Public Affairs“-Team, liebevoll und praktisch kurz auch PR-Team genannt. Angefangen habe ich damals in Hamburg im deutschen Team mit Fokus auf unsere Produktkommunikation. Das heißt Kontakt zu Medien- und Pressevertretern zu halten, um Fragen über Dinge wie Google Maps, Chrome, YouTube oder auch mal Gmail zu beantworten. Pro-Tipp Nummer 1: Bei meinem ersten TV-Interview ging es um die Funktion „E-Mails zurückrufen“ – nach wie vor ein praktisches Feature. Nach drei Jahren in Hamburg habe ich dann den Sprung nach London und ins dortige EMEA Product PR-Team gemacht. Dort arbeitete ich als Schnittstelle zwischen den US- und unseren lokalen PR-Teams in Europa, Afrika und dem Mittleren Osten als Ansprechpartner für Produkte wie Google Play, Android, Google Pay oder auch Google Arts & Culture. Für Letzteres bin ich der globale PR-Lead und arbeite mit kulturellen Institutionen auf der ganzen Welt zusammen, um Kultur in all ihrer Vielfalt und mit Hilfe moderner Technologien online zugänglich zu machen. Pro-Tipp Nummer 2: Such doch mal deinen Doppelgänger in tausenden Kunstwerken mit Art Selfie in der Google Arts & Culture-App (Android, iOS). Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie habe ich meine Koffer in London gepackt und bin nach Berlin umgezogen, wo ich weiterhin an den besagten Produkten arbeite.
Was hast du in deinem bisherigen Berufsleben gemacht – bis du bei Google gelandet bist?
Ich hatte eigentlich nie ein klaren Wunschberuf, fühlte mich aber den kreativen und kommunikativen Branchen näher, als beispielsweise den naturwissenschaftlichen. Daher war ich also ein klassischer Fall von „irgendwas mit Medien“ studieren. Nach meinem Bachelor-Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften habe ich zunächste drei Jahre in einer Berliner Agentur für Markenkommunikation gearbeitet. Um die praktischen Erfahrungen dort noch weiter zu professionalisieren, habe ich mich dann für den Masterstudiengang „Communication Management“ an der Uni Leipzig entschieden. Nebenher volontierte ich in der Halle 14 für zeitgenössische Kunst und habe Kommunikationskonzepte bspw. für die Stiftung Partnerschaft mit Afrika geschrieben.
In dem zweijährigen Master-Studiengang ging es sehr stark um strategische Kommunikationsplanung, primär mit Bezug auf klassische deutsche Dax-Unternehmen. Tech-Unternehmen kamen da nicht vor, weshalb ich kurz vor meinem Abschluss auf der Google Career Page geschaut habe, um einfach mal zu sehen, wie Google in diesem Bereich aufgestellt ist.
Zufälligerweise wurde der Job in Hamburg, den ich letztendlich bekam, nur zwei Tage vorher veröffentlicht. Ich habe mich über das Online-Portal beworben; aber um ehrlich zu sein, überhaupt nicht damit gerechnet – so meine bisherigen Erfahrungen bei Bewerbungen in großen Unternehmen anderweitig – zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Zu meiner Überraschung kam schon zwei Tage später ein Anruf vom Recruiting und plötzlich ging es zum Vorstellungsgespräch von Leipzig nach Hamburg – und zwar mit ICE-Gutschein von Google, daran erinnere ich mich als „Mitfahrgelegenheitslandei“ immer noch gern.
Warum arbeitest du gern bei Google?
Auch nach sieben Jahren sind für mich das offene, tolerante und vor allem internationale Arbeitsklima der größter Zufriedenheitsfaktor. Der Diskurs rund um unterschiedliche Aspekte von Diversity und Inklusion hat bei Google – auch wenn nicht perfekt – zudem einen ganz anderen Stellenwert als (so mein Eindruck) in vielen anderen Unternehmen, in denen Freund:innen von mir arbeiten. Hinzukommen die spannenden und abwechslungsreichen Themen an denen ich arbeite. Wo sonst kann man Teil von Produktlaunches sein, die Millionen von Menschen erreichen, gemeinsam mit Partnern in Mexiko ein Maya-Artefakt restaurieren, mit großartigen YouTube-Stars durch Japan reisen oder mit anderen Kolleg:innen also Volunteer in Tansania tätig sein.
Am 3. Oktober ist Tag der Deutschen Einheit. Was bedeutet der Tag für dich?
Nach meinem Zivildienst in einer Notaufnahme und vor meinem Bachelor-Studium habe ich ein Jahr in Australien gelebt und gearbeitet. Dort habe ich den Tag der Deutschen Einheit vielleicht zum ersten Mal ganz bewusst wahrgenommen: Abends an der Bar in Melbourne mit Menschen zu sitzen war ein Privileg, dass auf grenzenlosen Reisen beruht und meiner Familie in der DDR so nicht gegeben war.
Feierst du den Tag der Deutschen Einheit?
Sicherlich kann ich die historische Bedeutung des Tages einordnen und verstehe, dass das Datum für Menschen, die die deutsche Teilung erlebt, Familientrennungen erfahren oder Unrechtsstatserlebnisse gemacht haben, eine ganz eigene Bedeutung hat und auch so begangen wird. Für mich ist der Tag der Deutschen Einheit aber vielmehr der Tag der den Beginn Wendejahre – die meine Kindheit bestimmt und meine Jugend geprägt haben – präsent.
Hast du das Gefühl, dass es noch Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gibt?
Das wir von Ost- und Westdeutschland vermeintlich zwar in geografischer Dimension sprechen, aber vielmehr doch in sozio-politischer Dimension denken, belegt dies. Ich würde da auch nicht nur von bloßen Unterschieden, sondern vielmehr von Ungleichheiten sprechen. Diese kann man natürlich politisch, kulturell oder sozial aufrollen, aber das würde den Rahmen unseres Interviews sicher sprengen und pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit werden dazu sicher auch die einschlägigen Statistiken bemüht.
Eine Ost-West-Thematik, die mich interessiert und die eigentlich auch erst seit kurzem differenzierter wahrgenommen wird, ist die der anderen deutschen Migrationsgeschichte – nämlich der von PoC (People of Color) in der ehemaligen DDR und anschließend in den Neuen Bundesländern.
Was meinst du damit?
Wenn man über Migration in Deutschland spricht, sind für viele wohl die klassischen Gastarbeiter:innen in der Wirtschaftswunder-BRD die gemeingültige Chiffre. Dass es in der ehemaligen DDR aber ebenso eine Vielzahl von Menschen aus Ländern wie Vietnam, Kuba oder Mosambik lebten, findet im kollektiven Bewusstsein eher keine Beachtung und wenn dann nur als Kulissenbestandteil, wenn über die rechtsradikalen Ausschreitungen der 90er-Jahre berichtet wird.
Dieser Unterschied in der Wahrnehmung von People of Color (PoC) im Osten – damals wie heute – ändert sich aber gerade. Ich fühle mich sehr bereichert, auch ihre Geschichten – die ja auch meine Geschichte ist – hören zu können. Wenn ich mich auf Social Media umschaue, sehe ich wie viele ostdeutsche POC in der DDR gelebt haben und/oder in den neuen Bundesländern aufgewachsen sind. Ihre besonderen Perspektiven von Migration und Ostdeutschland sehe ich verstärkt repräsentiert und fügen dem Tag der Deutschen Einheit zumindest für mich eine viel persönliche Perspektive – und eine für viele vielleicht überraschende – hinzu. Die Filmemacherin Diane Izabiliza zum Beispiel schaut mit ihrem Film „Die Mauer ist uns auf den Kopf gefallen“ insbesondere auf die Erfahrungen von Women of Color im Osten.
Du bist als Sohn einer Deutschen und eines Mosambikaners in der DDR geboren und in der Nähe von Potsdam in einer ostdeutschen Kleinstadt aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast du noch an das geteilte Deutschland?
Die Kindheitsklassiker natürlich: Gelbe Steinplatten, Ostseeurlaub und Softeis. Und da hört es leider schon auf, denn ich war sechs Jahre alt als die Mauer fiel. An die eigentliche Teilung Deutschlands und auch den historischen Moment der Wiedervereinigung kann ich mich überhaupt nicht erinnern. An die Verhältnisse und Verwerfungen, insbesondere die sozialen, die danach über Ostdeutschland hereinbrachen, aber schon.
Wie von dir bereits angesprochen, gehörten Gastarbeiter:innen aus anderen sozialistischen Staaten (sog. „Bruderländern“) wie u. a. Vietnam, Mosambik, Angola, Kuba oder Algerien in der DDR zur Gesellschaft. Wie „bunt“ kam dir die Bevölkerung der DDR damals vor?
Das kann ich aus eigener Erfahrung nicht bewerten. Kürzlich habe ich gehört, dass es um die 100.000 Migrant:innen aus diesen Ländern gab. Diese waren aber oft sehr segregiert von der Bevölkerung untergebracht – als Wirtschaftsfaktor geschätzt, aber nicht als Menschen mit sozialen und kulturellen Hintergründen, von denen man hätte lernen können. Sie waren also kaum sichtbar, was meine Kindheitserfahrungen unterstreicht. Ich war zum Beispiel sehr begeistert, als ich über den Instagram-Account @Schwalbenjahre, der das private Leben von DDR- Bürger:innen porträtiert, unerwartet auch PoC-Perspektiven entdeckt habe.
Welche Rolle spielt Intersektionalität für ostdeutsche PoC?
Als Ostdeutscher, der nicht als weiß gelesen wird, bin ich genau wie andere PoC und mit Blick auf das geeinte Deutschland ja quasi Minderheit in der Minderheit. Das hat natürlich auch nochmal seinen ganz eigenen Mix an Herausforderungen aber auch Perspektiven, die mich im Leben aber mehr, wohl auch zwangsweise, angetrieben als ausgebremst haben.
Ich spreche heute natürlich aus einer extrem privilegierten Position, aber sozialwissenschaftlich würde man mich sicherlich als einen soziologischen Ausreißer beschreiben: schwarz, queer, ostdeutsch und Kind einer alleinerziehenden Mutter – da war der Weg an die Uni und zum Silicon Valley-Unternehmen vielleicht nicht vorprogrammiert.
Natürlich hat jeder Mensch verschiedene Intersektionalitäten, aber vielleicht ist die von PoC im Osten – reflektiert auch beispielsweise in Ost-PoC Initiativen wie dem Postmigrantischen Radio – eine nicht ganz so weit verbreitete.
Springen wir in die Gegenwart. Oft wird ein Klischeebild der „Neuen Bundesländer“ gezeichnet, in dem Rassismus eine große Rolle spielt. Was denkst du dazu?
Ich finde es sehr flach, wenn Menschen dieses Klischee als gemeingültig akzeptieren und unreflektiert vervielfältigen. Rassismus als subtiles System gibt es überall, „Ausländerfeindlichkeit“ als plumpes Verhalten- und Denkmuster ohnehin. Sicher haben die gravierenden Verwerfungen der Wendejahre da Öl ins Feuer gegossen und ja, das Phänomen der Baseballschlägerjahre (Begriff und Dokuserie dazu von Christian Bangel) waren auch für mich persönlich und eigentlich alle PoC, die ich kenne, nicht Theorie sondern Lebensrealität.
Die Autorin Katharina Warda – vielleicht sowas wie du junge Stimme der „Ossis of Color“ – greift genau diese Erlebniswelt autobiografisch und kritisch auf. In ihren Texten, Artikeln und den Erzählungen von Menschen, die sie portraitiert, finde ich mich 1:1 wieder, aber teile auch ihren differenzierten Blick auf „den Osten“.
Ihr Essay „Der Ort, aus dem ich komme, heißt Dunkeldeutschland“ oder andere Texte zu 30 Jahren Wiedervereinigung kann ich jedem sehr empfehlen und ist für mich auch ein Ausdruck der zuvor beschriebene aufblühenden Diskurse – nicht über sondern vielmehr von ostdeutschen PoC. Wer mehr über diese Perspektiven lernen möchte, kann hier in einem kürzlich erschienenen BR-Podcast sicher ganz neue und unerwartete Zugänge entdecken, oder wie Katharina Warda es pointiert sagt: „Das Narrativ vom Braunen Osten funktioniert deshalb so gut, weil man denkt, dass es ausschließlich ein Raum für weiße Menschen ist”.
Zum Schluss: Deine Lieblings-Spots in Deutschland?
Neben Berlin – und hier insbesondere dem ehemaligen Flughafengelände, dem Tempelhofer Feld – verbringe ich sehr gerne Zeit in Leipzig, meiner Ansicht nach eine der spannendsten deutschen Städte mit einer starken Kunst- und Kreativszene und hervorragender Lebensqualität. Im Sommer bin ich auch immer ein paar Tage im beschaulichen Weimar und vor einigen Wochen war ich zum ersten mal überhaupt in Görlitz. Beides wunderschöne Städtchen mit einer ganz einzigartigen Atmosphäre. Okay, das waren jetzt zwar alles Orte in den Neuen Bundesländern – aber Hand aufs Herz, als „Afro-Ossi“ fühle ich mich aber auch Tief im Westen wohl.
Danke dir für das offene Gespräch, Robert!
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