Wanderlust – Internationales Arbeiten bei Google: „Ich bin nicht trotz meiner Herkunft hier, sondern genau deswegen.“
This interview is also available in English. You can find it below the German version. Dieses Interview gibt es auch auf Englisch. Ihr findet die englische Version weiter unten.
Stell dich bitte einmal vor: Was machst du bei Google und wie lange bist du schon dabei?
Hi, mein Name ist Maryam - ich komme ursprünglich aus Afghanistan und bin seit ungefähr zwei Jahren Senior Account Managerin für den Bereich Beauty & Health in Dublin. Nachdem ich über vier Jahre in diversen Agenturen in Österreich tätig war, habe ich den Schritt in die Tech-Branche und nach Dublin gewagt. Zuerst war ich zwei Jahre als Account Managerin bei einem anderen Tech-Unternehmen tätig und dann kam der Schritt zu Google.
Der Job ist unglaublich vielseitig und wird auf jeden Fall nie langweilig. Zudem arbeiten wir in einem sehr internationalen und schnelllebigen Umfeld hier in Dublin, wo man jeden Tag etwas Neues lernt - sowohl privat als auch im beruflichen Kontext.
Wie bist du darauf gekommen, diesen Weg einzuschlagen?
Mich hat eine Reihe von Zufällen hierher geführt. Während des Studiums habe ich ein Praktikum bei einer Online-Marketing-Agentur angefangen und bin so in die Agenturwelt gerutscht. Schnell waren vier Jahre vergangen. Jedoch hätte ich es an diesem Punkt nie gewagt, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, in die Tech-Welt zu gehen. Das schien für mich noch viel zu weit weg. Ganz nach dem Motto „vielleicht kann ich es in zehn Jahren mal versuchen“. Wie es der Zufall jedoch will, wurde ich über LinkedIn kontaktiert. Eines führte zum anderen und plötzlich plante ich meinen Umzug nach Dublin, um als Account Managerin bei einer Tech-Firma zu starten. Nach zwei Jahren kam der Wechsel zu Google und nach insgesamt dreieinhalb Jahren fühlt sich das Ganze noch immer surreal an!
Du hast erwähnt, dass du eine afghanische Migrationsgeschichte hast. Was bedeutet das für dich und wie prägt dich das?
Meine Familie und ich mussten aus unserer Heimat flüchten, weshalb mir meine Wurzeln unglaublich wichtig sind. Wie viele andere afghanische Familien waren wir leider gezwungen, gegen unseren Willen unser Heimatland zu verlassen. Ich habe praktisch meine halbe Kindheit als Flüchtlingskind auf einer Reise über mehr als fünf Länder und anschließend in Flüchtlingsunterkünften verbracht, bis wir endlich in Österreich Fuß fassen konnten und eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten, als ich sechs Jahre alt war. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mein ganzes Leben lang eine illegale Geflüchtete.
Das ist ein Teil meines Lebens und meiner Identität, den ich lange nicht nach außen getragen habe, da er leider oft sowohl privat als auch beruflich als Grundlage für Diskiminierung genutzt wurde, seitdem ich ein Kind war. Viele Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund kennen diese Mikro-Aggressionen, mit denen man im Alltag leider viel zu oft konfrontiert wird, basierend auf Aussehen, Herkunft und Religion – ganz nach dem Motto: „Wow du kannst aber gut Deutsch!“ oder „Ja, aber, wo kommst du denn wirklich her? Österreichisch/Deutsch siehst du ja offensichtlich nicht aus!“. Ein Beispiel, an das ich oft denken muss, ist, dass meine Klassenlehrerin mich nach dem 11. September vor versammelter Klasse gebeten hat aufzustehen und mir die Frage gestellt hat: „Maryam, bitte erkläre jetzt allen, wieso deine Leute das gemacht haben.“ Zu diesem Zeitpunkt war ich in der Grundschule und acht Jahre alt. Damit hat es aber natürlich nicht aufgehört. Im Erwachsenenalter wurde mir auch schon mal beispielsweise im beruflichen Kontext gesagt, dass mein Fasten zum Ramadan „störend“ wäre, weil man sich dadurch nicht wohl fühle, vor mir zu essen im Büro. Deshalb habe ich ab einem gewissen Zeitpunkt für mich entschieden, dass dies ein Teil von mir und meinem Leben ist, den ich nur behutsam teile. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurückdenke, empfinde ich schon fast etwas Selbstmitleid.
Zum Glück habe ich aber mittlerweile die Selbstsicherheit und befinde mich auch in einer Umgebung, in der dies nicht mehr der Fall ist. Das ist natürlich nicht über Nacht passiert, aber mit dem Umzug nach Dublin und dadurch, dass ich mich plötzlich in einem sehr internationalen Umfeld wiedergefunden habe, habe ich mich entschieden, dass ich mich nicht mehr verstellen will und dass es nicht auf meine Kosten gehen darf, dass ich nicht der „Norm“ entspreche. Natürlich wird das bei Google und vielen anderen globalen Tech-Firmen gefördert, aber rückblickend wünschte ich mir wirklich, dass ich dies schon früher gemacht hätte und ein Umfeld, in dem dies nicht möglich war, schon früher verlassen hätte. Denn seitdem ich das tue, bin ich rundum als Mensch viel ausgeglichener und glücklicher – das wirkt sich auf alle Bereiche meines Lebens aus. Ich bin unglaublich stolz darauf, diesen Hintergrund zu haben.
Du hast erwähnt, dass du stolz auf Deine Geschichte bist und diese neue Selbstsicherheit ein wichtiger Teil deines Lebens ist. Möchtest du uns mehr hierzu erzählen?
Ich versuche diesen Aspekt mit allem, was ich tue, zu ehren und dies ist, neben meiner Familie, mein primärer Antrieb. Ich suche immer nach Möglichkeiten, Social Good in meinen Arbeitsalltag zu integrieren, um so viel Bewusstsein wie möglich für die Situation in Afghanistan zu schaffen und sicherzustellen, dass wir unsere Landsleute vor Ort so gut wie möglich unterstützen. Bei Google haben wir mit den „Afghan Googlers“ eine Gruppe von Mitarbeiter:innen, die sich dem widmen, und ich bin unglaublich stolz auf die Arbeit, die wir dort leisten.
Mein Wunsch wäre es, dass Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund durch mich auch sehen, dass es absolut realistisch und machbar ist, beruflich weiter zu kommen, ohne sich zu verstellen. Ich hätte mir vor einigen Jahren niemals vorstellen können, dass ich im Beruf authentisch und offen ich selbst sein kann, mit allem was dazugehört ohne immer im Hinterkopf zu haben, dass dies durch Diskriminierung einen Nachteil für mich haben könnte. Zudem will ich auch zeigen, dass es mit Migrationshintergrund und allem, was dazu gehört, auch durchaus möglich ist, eine Karriere im Tech-Bereich zu starten, ohne dass man an einer der Top-Unis war oder eine Privatschule abgeschlossen hat.
Ich hätte mich niemals selbstständig damals bei Google beworben, weil ich schlicht und einfach das Selbstvertrauen nicht hatte, daran zu glauben, „gut genug“ zu sein. Ich würde gerne andere dazu motivieren, dieses Denken abzulegen.
Du bist Teil der „Afghan Googlers“, um die afghanische Community zu unterstützen. Welches Ziel verfolgt die Gruppe?
Google gibt uns die Möglichkeit, einen Teil unserer Arbeitszeit Projekten zu widmen, die uns persönlich am Herzen liegen - in diesem Fall geht es in die wohltätige Richtung. Als Co-Lead für die EMEA-Region (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) darf ich unsere Community, welche aus Afghan*innen und Allies besteht, zusammen mit Kolleg*innen leiten. Unsere Mitglieder sind weltweit für Google tätig und haben sich zusammengeschlossen, um Projekte ins Leben zu rufen, die zur Unterstützung der afghanischen Diaspora sowie Afghan*innen vor Ort dienen sollen. Dabei arbeiten wir auch ganz eng mit einigen tollen wohltätigen Unternehmen und NGOs zusammen, wie beispielsweise Visions for Children und Future4Orphans, die sich auf die Betreuung von Waisen / Verbesserung der Lernbedingungen und der Bildungsqualität an Schulen in Konflikt- und Kriegsgebieten, u. A. in Afghanistan fokussieren und somit vor Ort lebensnotwendige Arbeit leisten.
Vor einigen Jahren wäre es für mich abseits der Realität gewesen, einen so privaten Aspekt meines Lebens mit zum Arbeitsplatz zu nehmen. Ich fühle mich nicht mehr gezwungen, eine „Rolle“ spielen zu müssen, um akzeptiert oder respektiert zu werden, was mich in der Vergangenheit unglaublich viel Energie gekostet hat. Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass ich einen Ort gefunden habe, der meinen Hintergrund und meine Sichtweise nicht nur akzeptiert, sondern auch zelebriert und ich von unglaublich tollen Kolleg*innen umgeben bin, die mich tagtäglich daran erinnern. Nicht nur wird dies akzeptiert, sondern es wird mir auch die Möglichkeit gegeben, meine Herkunft direkt in meine Arbeit einzubinden. Beispielsweise konnte ich vergangenes Jahr Einiges zum Thema Ramadan beitragen, um zum einen das Verständnis für diese besondere Zeit für Muslime zu fördern, aber auch Ramadan als wichtigen Moment für unsere Kund*innen zu platzieren.
Danke, dass du das mit uns geteilt hast. Welche Perspektive möchtest du Leser*innen mitgeben?
Ich will ganz stark betonen, dass ich nicht trotz meiner Geschichte hier bin, sondern dies genau der Grund ist, der mich hierher gebracht hat.
Wie eingangs schon erwähnt, glaube ich, dass leider sehr viele Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund wie ich es niemals in Erwägung ziehen würden, eine Karriere bei einem großen Tech-Unternehmen zu erwägen, weil dies für sie außerhalb der Reichweite zu sein scheint.
Ich würde gerne mit meiner Geschichte aufzeigen, dass dies absolut nicht der Fall ist und jene dazu ermutigen, diesen Schritt zu wagen
Wenn ich an meine eigene Entwicklung denke, würde ich es auf drei Perspektiven herunterbrechen:
- Wenn du dich im beruflichen Kontext in einer Umgebung befindest, in der du dich verstellen musst, versuche dies zu verändern.
- Lass dich von Berufsprofilen nicht zu sehr einschüchtern. Du kannst alles lernen, wenn du dir den Raum und die Zeit hierfür nimmst – und nehmen kannst.
- Stelle sicher, dass du etwas wählst, das du auch wirklich gerne machst, da du viel Zeit mit deinem Job verbringen wirst.
Please introduce yourself: What do you do at Google, and how long have you been there?
Hi, my name is Maryam. I'm originally from Afghanistan, and I've been a Senior Account Manager in the Beauty & Health sector at Google in Dublin for about two years. After working in various agencies in Austria for over four years, I took the leap into the tech industry and moved to Dublin. Initially, I spent two years as an Account Manager at another tech company before joining Google. The job is incredibly diverse and never gets boring. Additionally, we work in a very international and fast-paced environment here in Dublin, where you learn something new every day, both personally and professionally.
How did you decide to take this path?
A series of coincidences led me here. During my studies, I started an internship at an online marketing agency, which led me into the agency world. Fast forward, four years have passed by quickly. However, I never would have dared to consider entering the tech world at that point; it seemed too far-fetched. I thought, "Maybe I can try it in ten years." As fate would have it, I was contacted by a headhunter through LinkedIn. One thing led to another, and suddenly, I was planning to move to Dublin to start as an Account Manager at a tech company. After two years, I made the switch to Google, and even after a total of three and a half years, it still feels surreal!
You mentioned having an Afghan migration background. What does that mean for you, and how does it shape you?
My family and I needed to flee from our homes and thus, my roots are incredibly important to me. Like many other Afghan families, we were unfortunately forced to leave our homeland against our will. I spent practically half of my childhood as a refugee, traveling through more than five countries and then residing in refugee camps until we could finally settle in Austria and obtain residence permits when I was six years old. Until that point, I had been an illegal refugee all my life.
This is a part of my life and identity that I didn't share openly for a long time because it was often used as a basis for discrimination, both personally and professionally, since I was a child. Many people with a similar background unfortunately know these small micro-aggressions that one is often confronted with in everyday life, based on appearance, origin, and religion - such as "Wow, you speak German so well!" or "But where are you really from? You don't look Austrian/German!" One example I often think about is when, after 9/11, my elementary school teacher asked me to stand up in front of the class and explain why "my people" had done that. At that time, I was eight years old. But it didn't stop there. In adulthood, in a professional context, someone once told me that my fasting during Ramadan was "disruptive" because it made them uncomfortable eating in the office around me. Therefore, I decided at a certain point that this is a part of me and my life that I share cautiously. Looking back, I almost feel a bit of self-pity.
Fortunately, I now have the self-assurance and am in an environment where this is no longer the case. It didn't happen overnight, but with the move to Dublin and finding myself in a very international environment, I decided that I no longer want to "pretend" and that it shouldn't come at the cost of not fitting into the "norm." While Google and many other global tech companies encourage this, looking back, I really wish I had done it earlier and left an environment where it wasn't possible sooner.
You mentioned that you are proud of your story and that this new self-confidence is an important part of your life. Would you like to tell us more about this?
Since I started doing that, I am much more balanced and happier as a person, and it affects all areas of my life. I am incredibly proud to have this background. I try to honor this aspect in everything I do, and besides my family, it is my primary motivation. I always look for opportunities to integrate social good into my daily work, to raise as much awareness as possible for the situation in Afghanistan and ensure that we support our compatriots on the ground as much as possible. At Google, we have the "Afghan Googlers" group of employees dedicated to this, and I am incredibly proud of the work we do.
My wish is that people with a similar background see through me that it is absolutely realistic and achievable to advance professionally without pretending. A few years ago, I could never have imagined that I could be authentic and openly myself at work, with everything that entails, without always having in the back of my mind that discrimination could be a disadvantage for me. I would like to motivate others to abandon this mindset.
You are part of the "Afghan Googlers" to support the Afghan community. What is the goal of the group?
Google gives us the opportunity to dedicate a portion of our working hours to projects that are personally important to us - in this case, in the charitable direction. As the co-lead for the EMEA region (Europe, Middle East and Africa), I am honored to co-lead our community, which consists of Afghans and allies working worldwide for Google. We have come together to initiate projects that aim to support the Afghan diaspora and Afghans on the ground. We also work closely with some great charitable companies and NGOs, such as Visions for Children and Future4Orphans, which focus on orphan care / improving learning conditions and the quality of education in conflict and war zones, including Afghanistan, and are doing vital work on-site.
A few years ago, it would have been beyond reality for me to bring such a private aspect of my life to the workplace. I no longer feel compelled to play a "role" to be accepted or respected, which cost me a tremendous amount of energy in the past. I am incredibly grateful to have found a place that not only accepts my background and perspective but also celebrates it, and I am surrounded by incredibly supportive colleagues who remind me of this every day. Not only is it accepted, but I am also given the opportunity to directly incorporate it into my work. For example, last year, I contributed a lot to the topic of Ramadan, not only to promote understanding for this special time for Muslims but also to position Ramadan as an important moment for our customers.
Thank you for sharing that with us. What perspective would you like to give readers?
I want to strongly emphasize that I am not here "despite" my background; this is exactly what brought me here. As mentioned earlier, I believe that unfortunately, many people with a similar background to mine would never consider pursuing a career at Google or other tech companies because it seems out of reach. I would like to show with my story that this is absolutely not the case and encourage those to take this step.
When I think about my own development, I would break it down into three perspectives:
- If you find yourself in a professional environment where you have to pretend, try to change that.
- Don't be too intimidated by job profiles. You can learn anything if you give yourself the space and time for it.
- Make sure you choose something you really enjoy, as you will spend a lot of time with your job.