#1 Die Google-Kugel – jetzt schon reif fürs Museum
Ich bin von der Idee des autonomen Fahrens begeistert. Wie viel Zeit können wir sparen, wie viel produktive Arbeit können wir leisten, wenn wir während der Autofahrt nicht mehr ausschließlich mit dem Steuern des Fahrzeugs beschäftigt sind. Von all den Menschleben ganz zu schweigen, die wir retten können, falls das Auto sicherer fährt als wir selbst. Deshalb begeistert mich auch dieser kleine Wagen, der Waymo Firefly. Das Gefährt mit dem blaulichtartigen Knubbel auf dem Dach ist vielleicht keine Schönheit wie der Alfa Romeo, der auch in unserem Verkehrszentrum auf der Theresienhöhe in München zu bestaunen ist. Aber der Firefly, das Glühwürmchen, steht ja wegen seiner inneren Werte im Museum.
Der Waymo Firefly im Deutschen Museum in München
Wie es dahingekommen ist – das ist allerdings eine längere Geschichte. Und sie hat viel mit Google zu tun. Als ich von der Existenz des Autos erfuhr, dachte ich: Das gehört in unsere Sammlung! Der Wagen stellt ja eine echte Innovation dar. Und ist damit im Deutschen Museum hervorragend aufgehoben. Wenn man mich ärgern will, sagt man einfach, dies oder jenes sei reif für das Deutsche Museum. Im Sinne von: Das ist alte und gestrige Technik, das hat ausgedient und kommt nach München auf die Museumsinsel.
Dabei sammeln wir beileibe nicht gestrige Technik, sondern gerade auch die von heute und morgen – manchmal sogar die von übermorgen. Das ist beim Waymo Firefly der Fall. Den hat man auf deutschen Straßen noch nie gesehen, und das Deutsche Museum ist das erste Museum in Europa, das so ein außergewöhnliches Auto dauerhaft ausstellen kann.
Wir zeigen im Verkehrszentrum des Deutschen Museums viele Exponate, die Mobilitätsgeschichte geschrieben haben: Der Benz-Motorwagen steht hier, das erste Auto überhaupt mit Verbrennungsmotor. Oder das erste Motorrad, das es zur Serienreife brachte. Oder die erste E-Lok. Und auch ein Pionier des autonomen Fahrens steht hier: ein von Ernst Dickmanns umgerüsteter Mercedes SEL mit dem schönen Namen „Vamp“, ein Akronym für „Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität“, der schon 1995 überwiegend autonom von München nach Kopenhagen und zurück fuhr.
Diese Leistung schlägt der Waymo Firefly leicht. Er fährt nämlich völlig autonom. Das geht ja auch nicht anders, er hat kein Lenkrad. Hier ist das autonome Fahren alternativlos, wie man so schön sagt. Autofahrer alten Schlages werden hier natürlich sagen: Das ist doch kein Auto, wenn man nicht Gas geben kann. Aber mich fasziniert das: Ich habe noch nie zuvor in einem Auto gesessen, das weder über ein Lenkrad noch über Pedale oder einen Schaltknüppel verfügt. Man kann da noch nicht mal von Fahrgefühl sprechen – man wird ja gefahren. Und man kann während der Fahrt munter ein Buch lesen oder eine warme Mahlzeit zu sich nehmen.
Aber was hat das Auto jetzt mit Google zu tun? Ganz einfach: Ohne Google gäbe es die Knutschkugel nicht. Die Firma Waymo (noch ein Akronym: new way forward in mobility) ist aus einem Google-Projekt für autonomes Fahren hervorgegangen. Mit diesen „Fireflys“ wurde bereits eine Strecke von mehr als 32 Millionen Kilometer ohne menschliche Fahrer zurückgelegt. Von 2015 bis 2017 waren die Wagen dieses Typs ohne Lenkrad und Pedale auf öffentlichen Straßen in den USA unterwegs. Und dann war erst einmal Schluss: Inzwischen hat Waymo die Technik in konventionelle Autos eingebaut. Die Tests laufen äußerst erfolgreich.
Die Knutschkugel, das Glühwürmchen hat also vorerst ausgedient. Und deshalb habe ich mich beeilt und gemeinsam mit Wieland Holfelder von Google Deutschland, die Idee besprochen, eines der Glühwürmchen zu uns nach München ins Deutsche Museum zu holen.
Und ja, die Idee wurde Wirklichkeit: Es hat es zwar eine ganze Weile gedauert, aber es hat geklappt. Was ich von vorneherein klar gesagt habe: Wir wollen ein Auto mit Innenleben – Museumsmenschen interessieren sich ja für Originale, nicht für leere Hüllen. Und das Innenleben ist das eigentlich Interessante bei diesem Objekt. Das Auto hat es nämlich in sich: viele Kameras, Radar, Lidar, Mikrofone – also alles, was es fürs autonome Fahren braucht.
2019 wurde der Schenkungsvertrag unterschrieben, ein gutes Jahr hat es dann noch gedauert, bis der Firefly in München ankam. Das liegt beileibe nicht an der niedrigen Reisegeschwindigkeit (40 km/h), sondern an den vielen Widrigkeiten, die ein Objekt durchmachen muss, bis es im Museum landet. Seine große Reise führte per Schiff von L.A. nach Hamburg. Allein, das Autochen in Hamburg durch den Zoll zu bekommen, war ein gehöriges Stück Arbeit. Aber am Ende war auch diese Hürde geschafft.
Dr. Wieland Holfelder, Google Deutschland, und Dr. Prof. Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor Deutsches Museum
Paradoxerweise hat der Firefly dann seine letzte Fahrt in Deutschland nicht aus eigener Kraft zurückgelegt, sondern auf dem Rücken eines Lastwagens. Dabei hätte das Auto durchaus selbst fahren können, indes: Es hat natürlich in Deutschland keine Straßenzulassung.
Ich habe mich auch deshalb so gefreut, dass das mit dem Technologietransfer ins Museum geklappt hat, weil wir so selten modernste Spitzentechnologie direkt aus den USA bekommen. Unser Museumsgründer Oskar von Miller hat zwar noch Apparate von Thomas Alva Edison persönlich bekommen, aber die neueren Objekte aus den USA gehen fast immer nur an US-Museen. Auch deshalb bin ich Google so dankbar. Und nicht nur deshalb. Seit 2014 arbeiten wir bereits sehr erfolgreich in den verschiedensten Projekten zusammen. Das reicht von virtuellen Ausstellungen bei Google Arts & Culture bis zur Digitalisierung ganzer Buchbestände unserer Bibliothek.
Aber zurück zum Glühwürmchen: Das Auto zeigt auch, wo Alphabet mit seinen verschiedenen Tochtergesellschaften inzwischen steht. Wenn man Alphabet nur als die Muttergesellschaft der „Google-Suchmaschine“ bezeichnet, tut man dem Unternehmen unrecht. Nicht zufällig ist dem Unternehmen mit dem Quantencomputer der nächste große Coup gelungen.
Der Oldtimer-Liebhaber in mir (ich bin nun mal Museumsdirektor!) vermisst natürlich viel an den hypermodernen Automobilen. Aber mehr aus emotionalen als aus rationalen Gründen. Immerhin besitze ich (neben einem knatternden alten Moped Bianchi Aquilotto, dem Adlerchen von 1942 und einer Vespa von 1980) auch ein modernes Fahrzeug, mit dem man auch schon autonom fahren kann. Es hält Abstand, hält die Spur, bremst. Das macht es alles super, aber nur gut 10 Sekunden lang - dann muss ich wieder die Hände aufs Lenkrad legen. Und das zweite Manko: Mein Auto kann bei engen Parkplätzen nicht autonom einparken. Bei breiten Parklücken geht das problemlos, aber da schaffe ich das doch selbst. Da ist der Mensch dem Auto überlegen. Noch.
Eine Innenansicht des Waymo Firefly
Eine Frage stelle ich mir aber am Ende doch: Wie sollen wir in Zukunft in brenzligen Verkehrssituationen eingreifen, wenn wir durch die ganze autonome Fahrerei überhaupt keine Fahrpraxis mehr haben? Da sollte dann vielleicht doch das Glühwürmchen das Vorbild sein. Wo’s kein Lenkrad und kein Pedal mehr gibt, kann der Mensch auch keine Fehler mehr machen.
Kommentar von Dr. Wieland Holfelder, Vice President Engineering & Site Lead Google Munich:
„Das Deutsche Museum steht für mich für einen Ort, der den Menschen Geschichte und Innovation näherbringt. Das sage ich nicht nur, weil ich auch privat im Vorstand des Freundes- und Förderkreises des Deutschen Museums e.V. aktiv bin, sondern weil das Museum diesen Fakt immer wieder mit seinem Engagement beweist. Genau so war es auch mit dem Firefly: Diesen Meilenstein des autonomen Fahrens zum ersten Mal als permanentes Ausstellungsstück in einem Museum in Europa zeigen zu können, war etwas, das mir auch persönlich ein großes Anliegen war. Natürlich ging das nicht ‘einfach so’, aber viele Kolleginnen und Kollegen bei Waymo und Google und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Deutschen Museum haben an diese Idee geglaubt, haben tatkräftig mitgeholfen – und so haben wir es dann auch gemeinsam geschafft. Das ‘Glühwürmchen’ könnte keinen besseren Ort als das Verkehrszentrum des Deutschen Museum haben, um Menschen als Beispiel für Innovation und Zeitgeist zu dienen – natürlich zusätzlich zu seinem digitalen Auftritt auf Google Arts & Culture.”